Kitaplätze – entweder nicht da oder nicht bezahlbar? Jetzt reicht’s

Die Suche nach einem Platz in der Kindertagespflege für Kinder unter 3 Jahren gestaltet sich immer schwieriger. Infolgedessen spitzt sich die Lage zwischen berufstätigen Eltern mit Kindern unter 3 Jahren und den Jugendhilfeträgern bzw. den Städten immer mehr zu.

Aleine in Köln sollen 2013 220.000 Kinder keinen Betreuungsplatz erhalten, haben also keinen Platz in der Kindertagespflege zugesichert bekommen.
Währenddessen werden bereits seit 2010 Betreuungsplätze zu 100 % bezuschusst, so dass Eltern eigentlich NUR den städtischen Beitrag selber zahlen müssten, selbst bei Betreuung durch eine Tagespflege. Die Kommunen verweigern dies jedoch bisweilen.

Das Bundesministerium für Familie, die Verwaltungsgerichte Aachen, Stade und Oldenburg schließen sich meiner Ansicht an. Gemeinsam mit einer betroffenen Familie und dem WDR werde ich daher die nächste Runde im Kampf für bezahlbare Betreuungsplätze einleuten. Dass Plätze in der Kindertagespflege entweder nicht da sind oder nicht bezahlbar sind, ist nicht zumutbar.
Das VG Aachen hat im März 2012 Folgendes entscheiden (Auszug der Rechtssprechungsdatenbank der Justiz):

Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 948/11

Datum:
13.03.2012
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 948/11

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 19. April 2011 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den zugrunde liegenden Antrag vom 19. Januar 2011 als solchen auf Bewilligung öffentlich geförderter Tagespflege gemäß § 24 Abs. 3 SGB VIII aufzufassen und zu bescheiden.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

T a t b e s t a n d

Die Kläger erstreben mit der vorliegenden Klage den Zugang von öffentlich geförderter Tagespflege für ihre Tochter I. M. M1. .

I. M. ist am 21. September 2009 geboren. Beide Eltern sind berufstätig. Die Tochter wird seit November 2009 von der Tagespflegeperson D. C. im Umfang von 28 Stunden wöchentlich in Kindertagespflege betreut.

Die Klägerin zu 1. beantragte mit Schreiben vom 19. Januar 2011, das bei der Beklagten am 10. Februar 2011 einging, gemäß § 24 SGB VIII die Übernahme der Kosten der Betreuung ihrer Tochter in Tagespflege.

Mit an die Kläger adressiertem Bescheid vom 19. April 2011 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Aufwendungsersatz in Tagespflege ab. Die Einkünfte der Familie überstiegen die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII in einem Umfang, dass der in Betracht kommende Aufwendungsersatz der Tagespflege unter der Kostenbeteiligung der Eltern liege.

Die Kläger haben am 19. Mai 2011 Klage erhoben. Die Klage sei zulässig. Insbesondere sei ihre Klagebefugnis gegeben, weil die Beklagte die Ablehnungsentscheidung ihnen gegenüber getroffen und den Bescheid an sie adressiert habe. Im Übrigen erachten sie die ablehnende Entscheidung der Beklagten in der Sache für rechtswidrig. Die Beklagte stütze ihre Entscheidung auf Vorschriften, die heute kein geltendes Recht mehr seien.

Die Kläger beantragen, den Bescheid der Beklagten vom 19. April 2011 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den zugrunde liegenden Antrag als solchen auf Bewilligung öffentlich geförderter Tagespflege aufzufassen und zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie bezweifelt bereits die Zulässigkeit der Klage. Es stelle sich die Frage, inwieweit die hier verfolgten Ansprüche auch Gegenstand des beim VG Aachen anhängigen Verfahrens 2 K 1629/10 der Tagespflegeperson C. seien und die vorliegende Klage wegen eines Verstoßes gegen das Verbot doppelter Rechtshängigkeit unzulässig sei. Sie bezweifele ferner die Klagebefugnis der Kläger. Aus der Formulierung in § 23 Abs. 1 SGB VIII, wonach die Förderung der Tagespflege u. a. die Gewährung einer laufenden Geldleistung an die Tagespflegeperson umfasse, ergebe sich eindeutig die Anspruchsinhaberschaft der Tagespflegeperson in Bezug auf die Geldleistung. Einen entsprechenden Regelungswillen habe der Gesetzgeber auch in der Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz – KiföG) geäußert. Dies sei auch einhellige Auffassung der Rechtsprechung. So habe das VG Würzburg zuletzt in einem Urteil vom 22. Oktober 2010 zutreffend festgestellt, dass zwar „mit der Bewilligung eines bestimmten Förderbetrages an die jeweilige Tagespflegemutter Reflexwirkungen zugunsten der Kläger verbunden seien.“ Diese genügten jedoch nicht für die Begründung einer Klagebefugnis der Eltern. Vielmehr obliege es den Tagespflegekräften, ihre Rechte durch Beschreitung des Rechtsweges selbst geltend zu machen. Da den Klägern im Ergebnis der Zahlungsanspruch, den sie mit ihrer Klage verfolgten, nach der gesetzlichen Konzeption gar nicht zustehe, könnten sie auch nicht die Verletzung eigener Rechte geltend machen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der von der Beklagten vorgenommenen Berechnung bei der Anspruchsprüfung. Zwar habe hier die Beklagte das Einkommen der Kindeseltern berücksichtigt und aufgrund der Höhe des den Eltern zumutbaren Eigenanteils an den Kosten der Tagespflege einen Leistungsanspruch auf öffentlich geförderte Kindertagespflege im Ergebnis verneint. Die ergangene Entscheidung stelle aber keine Heranziehung zu einem Kostenbeitrag für die Tagespflege im Sinne des § 90 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII dar. Insoweit ergebe sich auch bei dieser Sichtweise keine unmittelbare Beschwer der Kläger, die eine Klagebefugnis begründen könne. Die Verletzung sonstiger subjektiver Rechte der Kläger im Zusammenhang mit der Tagespflege sei ebenfalls nicht ersichtlich. Soweit das Gericht rechtliche Bedenken gegen das von der Beklagten bislang praktizierte Verwaltungsverfahren bei der Behandlung von Anträgen auf Bewilligung öffentlich geförderter Kindertagespflege habe, spreche einiges dafür, dass nach der aktuellen gesetzlichen Konzeption der Anspruch auf Förderung in Kindertagespflege und eine mögliche Kostenbeteiligung der Eltern im Wege der Heranziehung gemäß § 90 SGB VIII voneinander zu trennen seien. Allerdings habe der frühere Gesetzgeber des § 23 Abs. 3 SGB VIII in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1998, BGBl. I S. 3546 (SGB VIII 1998), dem Jugendhilfeträger bei der Entscheidung über die Gewährung von Aufwendungsersatz an die Tagespflegeperson ein Ermessen dahin eingeräumt, auch bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine Hilfegewährung abzulehnen, wenn das von den Eltern einzusetzende Einkommen die Höhe dieser Kosten übersteige. In einer Gesamtschau mit der seinerzeit gültigen Fassung der §§ 91 und 92 SGB VIII 1998 sei daraus das von vielen Jugendhilfeträgern praktizierte und seinerzeit rechtlich nicht beanstandete „Nettoprinzip“ entwickelt worden. Die von ihr beim Antrag der Kläger vom 10. Februar (19. Januar) 2011 vorgenommene Prüfung, ob diese einen Anspruch auf Aufwendungsersatz haben, sei auf Grundlage dieses Berechnungsmodells erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Klage ist zulässig.

Der Klage steht insbesondere nicht das Verbot doppelter Rechtshängigkeit (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz -GVG-) entgegen. Denn das von der Beklagten genannte, von der Tagespflegeperson Frau C. bei dem erkennenden Gericht anhängig gemachte Verfahren 2 K 1629/10 hat einen anderen Streitgegenstand. Dort wird nur um Ansprüche auf laufende Geldleistungen nach § 23 Abs. 1 und 2 SGB VIII aus der Betreuung eines anderen Kindes in Kindertagespflege gestritten, während hier die Bewilligung des Zugangs zu aus öffentlichen Mitteln geförderter Kindertagespflege nach § 24 SGB VIII für das Kind I. M. M1. streitgegenständlich ist.

Die Kläger verfolgen ihr Klagebegehren zu Recht als Anfechtungsklage verbunden mit einem Feststellungsantrag.

Nach § 42 Abs. 1 VwGO können durch Klage die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) verlangt werden. Beide Klagearten stehen zur Überzeugung der Kammer nicht in einem Vorrang-/Nachrangverhältnis. Es ist in der Rechtsprechung umstritten, in welcher Form Rechtsschutz zu gewähren ist, wenn ein Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts von der Behörde abgelehnt worden ist. In der Regel wird nach der genannten Vorschrift im Bereich gebundener begünstigender Verwaltungsakte die Erhebung einer Verpflichtungsklage als richtige Klageart erachtet, um unter Hinweis auf den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) die Verurteilung der Behörde zum Erlass des Verwaltungsaktes nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO oder zur Neubescheidung gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu erreichen. Diese Auffassung hat die Konsequenz, dass das Gericht die Sache spruchreif zu machen hat.

In bestimmten besonders gelagerten Fällen kann sich ein Kläger nach Auffassung der Kammer aber darauf beschränken, den Ablehnungsbescheid mit der Anfechtungsklage anzugreifen, anstatt sein Begehren mit der Verpflichtungsklage zu verfolgen. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist mehrfach die Zulässigkeit solcher Anfechtungsklagen bejaht worden,

vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 1971 – VI C 35.68 -, BVerwGE 38, 99 ff. – , in Fällen des öffentlichen Dienstrechts, etwa bei der Festsetzung eines Besoldungsdienstalters unter Berücksichtigung von Vordienstzeiten im Angestelltenverhältnis.

Dies wurde zum einen damit begründet, dass die Klage sich gegen eine öffentlich-rechtliche Körperschaft richte, von der man die Respektierung von Gerichtsurteilen auch ohne dahinterstehenden Vollstreckungsdruck erwarten dürfe. Zum anderen ist die Zulässigkeit einer bloßen Anfechtungsklage bejaht worden, wenn nur eine Rechtsfrage streitig war, die auch im Anfechtungsprozess entschieden werden konnte. Schließlich ist die Anfechtungsklage in Fällen zugelassen worden, in denen die angegriffene behördliche Entscheidung ohne Sachüberprüfung nur auf formelle Gründe gestützt wurde und bislang keine materielle Überprüfung des Begehrens erfolgt ist. Dann ist es ausreichend, durch die Aufhebung dieser formellen Entscheidung den Weg zur Sachprüfung erneut zu eröffnen,

vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264/94 -, DVBl. 1995, 857 ff. = NVwZ 1996, 80 ff.; Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 13. März 1993, 2 BvR 1988/92 – InfAuslR 1993, 229 f.; diese Entscheidungen betrafen Fälle des Asylrechts.

Das Bundesverwaltungsgericht ging in der zuletzt genannten Entscheidung davon aus, dass die Verwaltungsgerichte nicht in jedem Fall selbst die Spruchreife herbeiführen müssen, sondern bei erheblichen Aufklärungsdefiziten zunächst der Fachbehörde Gelegenheit zu geben ist, eine den Streitstoff erschöpfende Sachentscheidung zu treffen. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen es gerade wegen der besonderen Sachkunde der Behörde erforderlich erscheint, zunächst diese mit dem materiellen Begehren zu befassen.

Eine vergleichbare verfahrensrechtliche Situation sieht die Kammer hier. Die Beklagte hat ihre ablehnende Entscheidung allein unter Auswertung der Einkünfte der Kläger auf das sogenannte „Nettoprinzip“ gestützt, das aus Rechtsvorschriften abgeleitet wird, die – wie noch darzulegen sein wird – heute nicht mehr in Kraft sind, und will an dieser Entscheidung auch festhalten. Mit den eigentlichen durch § 24 Abs. 3 SGB VIII vorgegebenen (auch pädagogischen) Fragestellungen des Zugangs zur Kindertagespflege, der Eignung der Tagespflegeperson, der Bewertung der Vorbildung und Kenntnisse der von den Klägern ausgesuchten Tagespflegeperson und der geforderten Geldleistung hat sich die Beklagte noch nicht befasst. Auch wenn es nicht dem Rechtskreis der Kläger zugeordnet ist, die Höhe der laufenden Geldleistung zu bestimmen oder gar einzufordern, so hat die Beklagte nach einer Bewilligung des Zugangs zu öffentlich geförderter Tagespflege für die Tochter der Kläger in der Konsequenz unter Auswertung der Urteile der Kammer vom gleichen Tag,

vgl. Urteile vom 14. Februar 2012 – 2 K 1629/10 – und 2 K 1089/11,

zunächst in ihrer eigenen Zuständigkeit festzulegen, was im hier streitigen Zeitraum als angemessene „laufende Geldleistung“ zu bewilligen ist. Dies alles macht es erforderlich, dieser besonderen Aufgabenstellung und Sachkunde der Beklagten als Trägerin der Jugendhilfe auch bei der Bestimmung der Klageart Rechnung zu tragen und die Anfechtungsklage zur Gewährung von Rechtsschutz für ausreichend zu erachten. Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom 19. April 2011 wird den Klägern der Weg zu einer Sachentscheidung über ihren ursprünglichen am 10. Februar 2011 bei der Beklagten eingegangen Antrag vom 19. Januar 2011 erst wieder eröffnet.

Es ist ferner zulässig, dass die Kläger ihre Anfechtungsklage mit einer Feststellungsklage im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO verknüpfen, auf Grundlage welcher Rechtsvorschriften ihr Antrag auf Bewilligung von öffentlich geförderter Kindertagespflege zu bescheiden ist. Als feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO versteht man allgemein die aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer Rechtsnorm des öffentlichen Rechts sich ergebenden rechtlichen Beziehungen einer (natürlichen oder juristischen) Person zu einer anderen Person oder Sache,

vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1996 – 8 C 19/94 -, BVerwGE 100, 262 ff., und Urteil vom 23. Januar 1992 – 3 C 50/89 -, BVerwGE 89, 327 ff.

Rechtliche Beziehungen haben sich zu einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits überschaubaren Sachverhalt streitig ist.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn die Kläger, die die Bewilligung des Zugangs zu öffentlich geförderter Kindertagespflege für ihre Tochter I. M. erstreben, berufen sich zur Stützung dieses Begehrens auf die Anwendung der seit 2008 geltenden Fassung der Vorschriften der Kindertagespflege – insbes. der §§ 23 f, 90 SGB VIII -, während die Beklagte meint, diese Entscheidung auf Grund einer früheren Fassung der §§ 23, 91 Abs. 2 SGB VIII a.F. treffen zu dürfen. Es ist ferner davon auszugehen, dass eine feststellende Entscheidung über das anzuwendende Recht zu der von den Klägern erstrebten rechtmäßigen Entscheidung führen wird. Schließlich ist auch das bei der Zulässigkeit der Feststellungsklage geforderte besondere Feststellungsinteresse zu bejahen. Denn hierzu reicht es aus, dass die Rechtslage unklar ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die zuständige Behörde – wie hier die Beklagte – grundsätzlich anderer Auffassung als die Kläger ist.

Schließlich sind die Kläger als personensorgeberechtigte Eltern des Kindes I. M. klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO.

Die Zulässigkeit der von den Klägern verfolgten Anfechtungsklage setzt nach der letztgenannten Vorschrift voraus, dass sie durch den Verwaltungsakt, seine Ablehnung oder Unterlassung die Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte – also nicht lediglich ideeller oder wirtschaftlicher Interessen – geltend machen können. Ziel dieser von Amts wegen zu prüfenden Zulässigkeitsvoraussetzung ist der Ausschluss von Popularklagen.

Die Zuordnung von Rechten im Rahmen der Kindertagespflege ist seit geraumer Zeit streitig. Zunächst waren nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung des § 23 SGB VIII a.F. Rechtsprechung und Literatur einhellig der Auffassung, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen der Tagespflege und bei Vermittlung einer geeigneten Tagespflegeperson letzterer vom örtlichen Jugendhilfeträger die entsprechenden Aufwendungen einschließlich der Kosten der Erziehung zu ersetzen waren. Hinsichtlich des Anspruchs auf Zugang zu Leistungen der Kindertagespflege war die Rechtsprechung der Auffassung, dass ein darauf gerichteter Anspruch dem Personensorgeberechtigten zustehe. Nach der damaligen Rechtslage konnte der Zugang zu öffentlich geförderter Tagespflege durch die Vermittlung einer geeigneten Tagespflegeperson durch das Jugendamt als Träger der Jugendhilfe oder eine von ihr beauftragte Stelle (vgl. § 23 Abs. 1 und 3 Satz 1 SGB VIII a. F.) oder die Feststellung der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tagespflege sowie die Eignung der von den Eltern ausgesuchten Tagespflegeperson (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII a. F.) erreicht werden. Die Zuordnung zu den Rechten der Personensorgeberechtigten erfolge, weil es nur in ihrer Entscheidungsbefugnis liege, ob sie bei der Erziehung und Betreuung des Kindes die Unterstützung der Jugendhilfe in Anspruch nehmen wollten. Der Tagespflegeperson gegenüber erfolge lediglich die Auszahlung der entstehenden Aufwendungen. Die Tagespflegeperson könne aber nicht eigenständig, vom Elternrecht unabhängig und auf Kosten der Eltern die Förderung des Kindes in Tagespflege durch den Träger der Jugendhilfe beanspruchen. Nach der damaligen Gesetzesfassung schloss das Bundesverwaltungsgericht das Kind als Anspruchsinhaber aus. Zum einen war es in der damaligen Fassung des § 23 SGB VIII nicht ausdrücklich genannt. Im Übrigen sei die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII),

vgl. zu all diesen Fragen: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 5. Dezember 1996 – 5 C 51/95 -, BVerwGE 102, 274 ff.

Durch das TAG, das am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, wurden der Wortlaut der §§ 23 f. SGB VIII und damit die Regelungen über die Leistungen der Tagespflege so weitgehend abgeändert, dass hiernach in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten wurde, aus dieser Vorschrift ließen sich weder eigene Rechte der Tagespflegeperson noch der Eltern ableiten, deren Kinder in Tagespflege betreut würden,

vgl. etwa: Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig, Urteil vom 6. August 2006 – 2 LB 46/05 -, juris, und Verwaltungsgericht (VG) Schleswig, Urteil vom 15. Juni 2005 – 15 A 468/04 -, juris.

Diese wenig geglückte Regelung wollte der Gesetzgeber bei einer weiteren Novellierung des § 23 Abs. 1 SGB VIII beseitigen. So hat er in der durch Art. 1 Ziff. 5. a) KiföG eingeführten Neufassung dieser Vorschrift ausdrücklich bestimmt, dass die Gewährung einer laufenden Geldleistung „an die Tagespflegeperson“ zu erfolgen habe. Im Übrigen hat er in § 24 Abs. 3 SGB VIII die Voraussetzungen benannt, unter denen das Kind, vertreten durch die Personensorgeberechtigten, öffentlich geförderte Kindertagespflege verlangen kann. Es spricht deshalb vieles dafür, dass insoweit das Kind, vertreten durch seine Eltern, die Verletzung eigener Rechte geltend machen kann. Ob das allgemein gilt, kann für die Entscheidung des vorliegenden Rechtstreits aber letztlich dahinstehen. Denn die Kläger sind in jedem Fall klagebefugt wegen der im Bescheid vom 19. April 2011 vorgenommenen Ablehnung auf Grund einer Verknüpfung von Genehmigung und inzidenter Festsetzung eines Kostenbeitrags, der sich nach den von den Klägern vorgelegten Einkommensnachweisen der Eltern bemaß. Soweit sie zugleich Adressat einer entsprechenden Entscheidung des Jugendhilfeträgers wurden, steht die Klagebefugnis der Kläger außer Frage.

Schließlich ist die Zulässigkeit der Klage im vorliegenden Fall auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass bei Antragstellung im Rahmen der Übergangsregelung des § 24 a SGB VIII die von der Beklagten während des – bis zum 1. August 2013 dauernden – Übergangszeitraums bereitgestellten finanziellen Mittel für die öffentlich geförderte Kindertagespflege bereits ausgeschöpft waren oder keine entsprechenden freien Plätze für öffentlich geförderte Kinder in der Tagespflege mehr zur Verfügung standen. Denn dies hat die Beklagte selbst nicht vorgetragen.

Die Klage ist auch begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 19. April 2011 ist aufzuheben, da er rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Ferner ist festzustellen, dass die Beklagte den Antrag der Kläger auf Aufwendungsersatz vom 10. Februar (19. Januar) 2011 als Antrag auf öffentlich geförderte Kindertagespflege nach Maßgabe des § 24 SGB VIII aufzufassen und zu bescheiden hat.

Der angefochtene Bescheid vom 19. April 2011 ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil die Beklagte ihre Entscheidung auf eine Verknüpfung von Bewilligung und Kostenbeteiligung gestützt hat, für die es zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung keine Rechtsgrundlage (mehr) gab.

Bis zum 31. Dezember 2004 enthielt die damals im Jahr 2003 zuletzt bekannt gemachte Fassung des § 23 SGB VIII a.F. die jugendhilferechtlichen Zugangsvoraussetzungen zur öffentlich geförderten Tagespflege für Kinder, den Leistungsumfang und die Anforderungen an die Tagespflegeperson. Bedeutsam war insoweit insbesondere die Regelung des 23 Abs. 3 SGB VIII a.F., die – wie oben bereits angedeutet – die wesentlichen Voraussetzungen des Zugangs zur öffentlich geförderten Kindertagespflege enthielt. Weitere Bedeutung für die Leistungen der Kindertagespflege hatte darüber hinaus § 91 Abs. 2 SGB VIII a.F., der in Verbindung mit weiteren Vorschriften regelte, dass die Eltern und das Kind zu den Kosten der Tagespflege heranzuziehen waren. Mit dieser Kostenbeteiligung sollte (im Grundsatz nachträglich) der Nachrang der Jugendhilfe (vgl. § 10 SGB VIII) durch Einsatz von Einkommen und ggfls. des Vermögens von Eltern wiederhergestellt werden. Die Wiederherstellung des Nachrangs setzt somit dem Grunde nach begrifflich voraus, dass zunächst eine staatliche Leistung erbracht wurde. Besondere Bedeutung hatte im Rahmen der Kostenbeteiligung § 93 Abs. 1 und 2 SGB VIII a.F., der nach einer im wesentlich sozialhilferechtlich definierten Einkommensgrenze den Umfang des Kostenbeitrags der Eltern aus ihrem laufenden Einkommen bestimmte. Im Rahmen der genannten Vorschriften und Grundsätze war die von vielen Jugendämtern praktizierte Ablehnung des Zugangs zur Kindertagespflege nach dem sogenannten „Nettoprinzip“ auch von Verwaltungsgerichten – als nach der damaligen Rechtslage hinnehmbare Handhabung des Nachranggrundsatzes – für rechtmäßig erachtet worden, wenn von vorneherein feststand, dass der von den Eltern zu fordernde Kostenbeitrag die an die Tagespflegeperson zu zahlende Geldleistung überstieg, die Eltern also ohnehin im Ergebnis die gesamten Kosten dieser Hilfe zu tragen hatten. Faktische Folge war zum einen, dass nur Familien oder Alleinerziehende mit einem relativ geringen Einkommen die Leistungen der Kindertagespflege tatsächlich in Anspruch nehmen konnten. Zum anderen konnte der Träger der Jugendhilfe ab einer bestimmten Einkommenshöhe auf die Überprüfung der übrigen materiellen Voraussetzungen für den Zugang zur Kindertagespflege verzichten und so den Arbeitsaufwand verringern.

Mit dem Inkrafttreten des TAG zum 1. Januar 2005 wurden neue gesetzliche Regelungen für die öffentlich geförderte Kindertagespflege geschaffen. Insbesondere wurde der gesamte dritte Abschnitt des Zweiten Kapitels des SGB VIII – §§ 22 bis 24 a SGB VIII – völlig neu gestaltet. Es wurde nicht nur die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege gleichgestellt. Nunmehr enthielten § 24 SGB VIII in der Fassung des TAG – insbes. in § 24 Abs. 3 – die Regelungen des Zugangs zur öffentlichen Tagespflege und § 23 die Anforderungen an die Eignung der Tagespflegeperson sowie die Regelungen über den Umfang der zu zahlenden Geldleistung. Die oben geschilderte Kostenbeteiligung blieb davon unberührt, so dass zunächst noch weiter nach dem geschilderten „Nettoprinzip“ verfahren werden konnte.

Dies war aber mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeentwicklungsgesetz – KICK) vom 8. September 2005, das nach Art. 4 KICK am 1. Oktober 2005 in Kraft getreten war, nicht mehr möglich. Das KICK zog nun auch hinsichtlich der Kostenbeteiligung der Eltern die Konsequenz aus der mit dem TAG eingeführten Gleichstellung von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege. So wurde durch Art. 1 Zif. 47 KICK die öffentlich geförderte Kindertagespflege in die Regelung über die pauschalierte Kostenbeteiligung nach § 90 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII, die bislang nur wenigen ambulanten Hilfen und der Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen vorbehalten war, einbezogen. Daneben wurden durch Art. 1 Zif. 48 KICK die gesamten Vorschriften über die Kostenbeiträge für stationäre und teilstationäre Leistungen der Jugendhilfe neu geregelt. Es kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen, ob die durch Art. 1 Zif. 53 KICK eingeführte Übergangsregelung des § 97 b SGB VIII – die eine Fortgeltung des alten Kostenbeitragsrechts für bereits laufende Hilfemaßnahmen bis zum 31. März 2006 ermöglichte – überhaupt die pauschalierte Kostenbeteiligung nach § 90 SGB VIII erfassen sollte. Selbst wenn dies zu Gunsten der Beklagten unterstellt würde, wäre es spätestens ab dem 1. April 2006 nicht mehr möglich gewesen, nach dem „Nettoprinzip“ – als einer bis dahin tolerierten Ausnahmehandhabung des Nachranggrundsatzes – zu verfahren. Denn mit der oben dargelegten Gleichstellung von Kindertagespflege mit den Kindertageseinrichtungen sowie der Einbeziehung in die pauschalierte Kostenbeteiligung ist bei der Bewilligung von Kindertagespflege wie beim Besuch einer Kindertagesstätte zu verfahren. Stellt der Träger der Jugendhilfe den Bedarf des Kindes und der Erziehungsberechtigten fest, ist die vorgesehene Tagespflegeperson geeignet und – das gilt zumindest bis zum 31. Juli 2013 – steht ein entsprechender Platz zur Verfügung, bewilligt der Träger der Jugendhilfe die Kindertagespflege, trägt (zunächst) die gesamten Kosten der Kindertagespflege und kann anschließend die Eltern zu einem pauschalierten Kostenbeitrag heranziehen.

Das am 16. Dezember 2008 in Kraft getretene KiföG hat an dieser Regelung im Grundsatz nichts geändert. Es hat in Art. 1 Zif. 17 KiföG § 90 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII zum einen dahin ergänzt, dass Kostenbeiträge, die für die Inanspruchnahme von Kindertagespflege zu entrichten sind, sozial zu staffeln sind, wenn Landesrecht nichts Abweichendes regelt. Als Kriterien für eine solche Staffelung kann nach § 90 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII insbesondere an das Einkommen, die Anzahl der kindergeldberechtigten Kinder in der Familie und die tägliche Betreuungszeit angeknüpft werden. Zum anderen sind in § 90 Abs. 3 und 4 SGB VIII Härteregelungen vorgegeben, wann von der Erhebung eines pauschalierten Kostenbeitrags abzusehen ist. Es bleibt aber dabei, dass es nach dem Inkrafttreten von KICK und KiföG an der erforderlichen Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid vom 19. April 2011 fehlte.

Abschließend sei noch ein in diesem Rahmen bedeutsamer Aspekt hervorgehoben, der die Rechtswidrigkeit des genannten Bescheides bestätigt. Um einen pauschalierten Kostenbeitrag zu erheben, konnte spätestens ab dem 1. April 2006 auch nicht mehr unmittelbar auf § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII rekurriert werden, sondern es bedurfte zur Festsetzung der konkreten Höhe der Beiträge einer Satzung des örtlichen Jugendhilfeträgers, die von der Beklagten bis zum Termin zur mündlichen Verhandlung noch nicht in Kraft gesetzt worden war. Es kann für das vorliegende Verfahren dahinstehen, ob dieser Mangel überhaupt und in welcher Form ggfls. rückwirkend behoben werden kann. Selbst wenn man eine andere Auffassung als die Kammer zur Weitergeltung des „Nettoprinzips“ vertreten würde, würde im Fall der Kläger das Fehlen einer Satzung ein weiteres Verfahren nach dem „Nettoprinzip“ ausschließen, da keine Rechtsgrundlage für die Erhebung eines pauschalierten Kostenbeitrags vorhanden ist.

Bei dieser Sach- und Rechtslage unterliegt der angefochtene Bescheid vom 19. April 2011 der Aufhebung.

Damit ist der von den Klägern für ihr Kind I. M. gestellte Antrag auf Kindertagespflege vom 10.Februar (19. Januar) 2011 wieder unbeschieden.

Es ist deshalb festzustellen, dass die Beklagte den von den Klägern gestellten „Antrag auf Aufwendungsersatz für Tagespflege“ als Antrag auf Kindertagespflege für das Kind I. M. nach Maßgabe des § 24 Abs. 3 SGB VIII in der Fassung des Art. 1 Zif. 6 KiföG zu behandeln hat.

Bei einer Behandlung des Antrags der Kläger vom 10. Februar (19. Januar) 2011 nach § 24 Abs. 3 SGB VIII wird die Beklagte auch zu prüfen haben, ob das Kind (dafür spricht der Wortlauft des Gesetzes) oder die personensorgeberechtigten Eltern,

so etwa das BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 1996 – 5 C 51/95 -, BVerwGE 102, 274 ff., zur früheren Gesetzesfassung des § 23 SGB VIII,

Inhaber des Anspruchs auf Zugang zur Kindertagespflege sind. Dabei wird sie ferner über die Eignung der von den Eltern gewünschten Tagespflegeperson zu befinden haben. Je nach dem Ergebnis ihrer Sachprüfung entscheidet sie gegenüber den Klägern – als den gesetzlichen Vertretern ihrer Tochter – über den Zugang zur öffentlichen Tagespflege. Kommt sie zu einer bewilligenden Entscheidung, wird sie zu prüfen haben, ob sie gegen die Kläger als Eltern des Kindes I. M. einen Bescheid über eine pauschalierende Kostenbeteiligung erlassen kann. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung fehlte es für den streitbefangenen Zeitraum – wie oben bereits ausgeführt – insoweit an einer entsprechenden Satzung.

Bewilligt die Beklagte den Klägern Zugang zur Kindertagespflege, hat sie in einem weiteren Schritt gegenüber der Tagespflegeperson die Höhe der laufenden Geldleistung festzusetzen.

Abschließend weist das Gericht darauf hin, dass ein Obsiegen im vorliegenden Klageverfahren nicht zwangsläufig bedeutet, dass bei künftig ordnungsgemäßer Sachbehandlung des Antrags der Kläger auf Zugang zur öffentlich geförderten Kindertagespflege dieser in vollem Umfang Erfolg haben wird. Die Beklagte wird insbesondere eine generelle Regelung zu treffen haben, in welchem Umfang vor der Antragstellung liegende Zeiträume in eine etwaige Bewilligungsentscheidung einzubeziehen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

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